Page images
PDF
EPUB

§. 1.

Allgemeiner Begriff von der Natur der Vernunftschlüsse.

Etwas als ein Merkmal mit einem Dinge vergleichen heisst urtheilen. Das Ding selber ist das Subjekt, das Merkmal das Prädikat. Die Vergleichung wird durch das Verbindungszeichen ist oder sind ausgedrückt, welches, wenn es schlechthin gebraucht wird, das Prädikat als ein Merkmal des Subjekts bezeichnet, ist es aber mit dem Zeichen der Verneinung behaftet, das Prädikat als ein dem Subjekt entgegengesetztes Merkmal zu erkennen giebt. In dem ersteren Fall ist das Urtheil bejahend, im anderen verneinend. Man versteht leicht, dass, wenn man das Prädikat ein Merkmal nennt, dadurch nicht gesagt werde, dass es ein Merkmal des Subjekts sei; denn dieses ist nur in bejahenden Urtheilen also, sondern dass es als ein Merkmal von irgend einem Dinge angesehen werde, ob es gleich in einem verneinenden Urtheile dem Subjekte desselben widerspricht. So ist ein Geist das Ding, das ich gedenke; zusammengesetzt ein Merkmal von irgend etwas; das Urtheil: ein Geist ist nicht zusammengesetzt, stellt dieses Merkmal als widerstreitend dem Dinge selber vor.

Was ein Merkmal von dem Merkmale eines Dinges ist, das nennt man ein mittelbares Merkmal desselben. So ist nothwendig ein unmittelbares Merkmal Gottes, unveränderlich aber ein Merkmal des Nothwendigen und ein mittelbares Merkmal Gottes. Man sieht leicht, dass das unmittelbare Merkmal zwischen dem entfernten und der Sache selbst die Stelle eines Zwischenmerkmals (nota intermedia) vertrete, weil nur durch dasselbe das entfernte Merkmal mit der Sache selbst verglichen wird. Man kann aber auch ein Merkmal mit einer Sache durch ein Zwischenmerkmal verneinend vergleichen, dadurch

dass man erkennt, dass etwas dem unmittelbaren Merkmal einer Sache widerstreite. Zufällig widerstreitet als ein Merkmal dem Nothwendigen; nothwendig aber ist ein Merkmal von Gott, und man erkennt also vermittelst eines Zwischenmerkmals, dass zufällig sein Gott widerspreche.

Nunmehr errichte ich meine Realerklärung von einem Vernunftschlusse. Ein jedes Urtheil durch ein mittelbares Merkmal ist ein Vernunftschluss, oder mit anderen Worten: er ist die Vergleichung eines Merkmals mit einer Sache vermittelst eines Zwischenmerkmals. Dieses Zwischenmerkmal (nota intermedia) in einem Vernunftschluss heisst auch sonst der mittlere Hauptbegriff (terminus medius); welches die anderen Hauptbegriffe seien, ist genugsam bekannt.

deut

Um die Beziehung des Merkmals zu der Sache in dem Urtheile: die menschliche Seele ist ein Geist, lich zu erkennen, bediene ich mich des Zwischenmerkmals vernünftig, so dass ich vermittelst dessen ein Geist zu sein als ein mittelbares Merkmal der menschlichen Seele ansehe. Es müssen nothwendig hier drei Urtheile vorkommen, nämlich:

1) ein Geist sein ist ein Merkmal des Vernünftigen, 2) vernünftig ist ein Merkmal der menschlichen Seele, 3) ein Geist sein ist ein Merkmal der menschlichen Seele; denn die Vergleichung eines entfernten Merkmals mit der Sache selbst ist nicht anders, wie durch diese drei Handlungen möglich.

In der Form der Urtheile würden sie so lauten: alles Vernünftige ist ein Geist, die Seele des Menschen ist vernünftig, folglich ist die Seele des Menschen ein Geist. Dieses ist nun ein bejahender Vernunftschluss. Was die verneinenden anlangt, so fällt es eben so leicht in die Augen, dass, weil ich den Widerstreit eines Prädikats und Subjekts nicht jederzeit klar genug erkenne, ich mich, wenn ich kann, des Hülfsmittels bedienen müsse, meine Einsicht durch ein Zwischenmerkmal zu erleichtern. Setzet, man lege mir das verneinende Urtheil vor: die Dauer Gottes ist durch keine Zeit zu messen, und ich finde nicht, dass mir dieses Prädikat, so unmittelbar mit dem Subjekte verglichen, eine genugsam klare Idee des Widerstreits gebe, so bediene ich mich eines Merkmals, das ich mir

unmittelbar in diesem Subjekte vorstellen kann, und vergleiche das Prädikat damit, und vermittelst desselben mit der Sache selbst. Durch die Zeit messbar sein widerstreitet allem Unveränderlichen, unveränderlich aber ist ein Merkmal Gottes, also u. s. w. Dieses förmlich ausgedrückt, würde so lauten: nichts Unveränderliches ist messbar durch die Zeit, die Dauer Gottes ist unveränderlich, folglich u. s. w. 1)

§. 2.

Von den obersten Regeln aller Vernunftschlüsse.

Aus dem Angeführten erkennt man, dass die erste und allgemeine Regel aller bejahenden Vernunftschlüsse sei: ein Merkmal vom Merkmal ist ein Merkmal der Sache selbst (nota notae est etiam nota rei ipsius); von allen verneinenden: was dem Merkmal eines Dinges widerspricht, widerspricht dem Dinge selbst (repugnans notae repugnat rei ipsi). Keine die-. ser Regeln ist ferner eines Beweises fähig. Denn ein Beweis ist nur durch einen oder mehr Vernunftschlüsse. möglich, die oberste Formel aller Vernunftschlüsse demnach beweisen wollen, würde heissen im Zirkel schliessen. Allein dass diese Regeln den allgemeinen und letzten Grund aller vernünftigen Schlussart enthalten, erhellt daraus, weil diejenigen, die sonst bis daher von allen Logikern für die ersten Regeln aller Vernunftschlüsse gehalten worden, den einzigen Grund ihrer Wahrheit aus den unsrigen entlehnen müssen. Das dictum de omni, der oberste Grund aller bejahenden Vernunftschlüsse, lautet also: was von einem Begriff allgemein bejahet wird, wird auch von einem jeden bejahet, der unter ihm enthalten ist. Der Beweisgrund hiervon ist klar. Derjenige Begriff, unter welchem andere enthalten sind, ist allemal als ein Merkmal von diesen abgesondert worden; was nun diesem Begriff zukommt, das ist ein Merkmal eines Merkmals, mithin auch ein Merkmal der Sachen selbst, von denen er ist abgesondert worden, d. i. er kommt den niedrigen zu, die unter ihm enthalten sind. Ein Jeder, der nur einigermassen in logischen Kenntnissen unterwiesen ist, sieht leicht ein, dass dieses Dictum lediglich um dieses

[ocr errors]

Grundes willen wahr sei, und dass es also unter unserer ersten Regel stehe. Das dictum de nullo steht in eben solchem Verhältniss gegen unsere zweite Regel. Was von einem Begriffe allgemein verneint wird, das wird auch von allem demjenigen verneint, was unter demselben enthalten ist. Denn derjenige Begriff, unter welchem diese anderen enthalten sind, ist nur ein von ihnen abgesondertes Merkmal. Was aber diesem Merkmal widerspricht, das widerspricht auch den Sachen selbst; folglich was den höheren Begriffen widerspricht, muss auch den niedrigen widerstreiten, die unter ihm stehen. 2)

§. 3.

Von reinen und vermischten Vernunftschlüssen.

Es ist Jedermann bekannt, dass es unmittelbare Schlüsse gebe, da aus einem Urtheil die Wahrheit eines anderen ohne einen Mittelbegriff unmittelbar erkannt wird. Um deswillen sind dergleichen Schlüsse auch keine Vernunftschlüsse; z. E. aus dem Satze: eine jede Materie ist veränderlich, folgt geradezu: was nicht veränderlich ist, ist nicht Materie. Die Logiker zählen verschiedene Arten solcher unmittelbaren Schlussfolgen, worunter ohne Zweifel die durch die logische Umkehrung, imgleichen durch die Kontraposition die vornehmsten sind.

Wenn nun ein Vernunftschluss nur durch drei Sätze geschieht, nach den Regeln, die von jedem Vernunftschlusse nur eben vorgetragen worden, so nenne ich ihn einen reinen Vernunftschluss (ratiocinium purum); ist er aber nur möglich, indem mehr wie drei Urtheile mit einander verbunden sind, so ist er ein vermengter Vernunftschluss (ratiocinium hybridum).*) Setzet nämlich, dass zwischen die drei Hauptsätze noch ein unmittelbarer Schluss müsse geschoben werden und also ein Satz mehr dazu komme, als ein reiner Vernunftschluss erlaubt, so ist es ratiocinium hybridum. Z. E. gedenket euch, es schlösse Jemand also:

Nichts, was verweslich ist, ist einfach,
Mithin: Kein Einfaches ist verweslich;

*) Ein Schluss von zweierlei Ursprung. A. d. H.

Die Seele des Menschen ist einfach,

Also: die Seele des Menschen ist nicht verweslich; so würde er zwar keinen eigentlich zusammengesetzten Vernunftschluss haben, weil dieser aus mehreren Vernunftschlüssen bestehen soll, dieser aber enthält ausser dem, was zu einem Vernunftschluss erfordert wird, noch einen unmittelbaren Schluss durch die Kontraposition, und enthält vier Sätze.

Wenn aber auch wirklich nur drei Urtheile ausgedrückt würden, allein die Folge des Schlusssatzes aus diesen Urtheilen wäre nur möglich kraft einer erlaubten logischen Umkehrung, Kontraposition, oder einer anderen logischen Veränderung eines dieser Vorderurtheile, so wäre gleichwohl der Vernunftschluss ein ratiocinium hybridum; denn es kommt hier gar nicht darauf an, was man sagt, sondern was man unumgänglich nöthig hat dabei zu denken, wenn eine richtige Schlussfolge soll vorhanden sein. Nehmet einmal an, in dem Vernunftschlusse:

Nichts Verwesliches ist einfach,

Die Seele des Menschen ist einfach,

Also die Seele des Menschen ist nicht verweslich, sei nur in sofern eine richtige Folge, als ich durch eine ganz richtige Umkehrung des Obersatzes sagen kann: nichts Verwesliches ist einfach, folglich: nichts Einfaches ist verweslich, so bleibt der Vernunftschluss immer ein vermischter Schluss, weil seine Schlusskraft auf der geheimen Dazufügung dieser unmittelbaren Folgerung beruht, die man wenigstens in Gedanken haben muss.

§. 4.

In der sogenannten ersten Figur sind einzig und allein reine Vernunftschlüsse möglich, in den drei übrigen lediglich vermischte.

Wenn ein Vernunftschluss unmittelbar nach einer von unseren zwei oben angeführten obersten Regeln geführt wird, so ist er jederzeit in der ersten Figur. Die erste Regel heisst also: ein Merkmal B von einem Merkmal C einer Sache A ist ein Merkmal der Sache 4 selbst. Hieraus entspringen drei Sätze.

« PreviousContinue »