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Es kostet auch wirklich einigen Menschen im Anfange merkliche Mühe, einiges Gute zu unterlassen, wozu sie die positiven Antriebe in sich bemerken; die Gewohnheit erleichtert alles, und diese Gewohnheit wird zuletzt wenig mehr wahrgenommen. Es sind demnach die Begehungssünden von den Unterlassungssünden moralisch nicht der Art, sondern der Grösse nach nur unterschieden. Physisch, nämlich den äussern Folgen nach, sind sie auch wohl der Art nach verschieden. Derjenige, der nichts bekommt, leidet ein Uebel des Mangels, und, dem genommen wird, ein Uebel der Beraubung. Allein was den moralischen Zustand desjenigen, dem die Unterlassungssünde zukommt, anlangt, so wird zur Begehungssünde nur ein grösserer Grad der Handlung erfordert. So wie das Gegengewicht am Hebel eine wahrhafte Kraft anwendet, um die Last blos in Ruhe zu erhalten, und nur einiger Vermehrung bedarf, um es auf die andere Seite wirklich zu bewegen; eben also, wer nicht bezahlt, was er schuldig ist, der wird in gewissen Umständen betrügen, um zu gewinnen, und wer nicht hilft, wenn er kann, der wird, sobald sich die Bewegursachen vergrössern, den Andern verderben. Liebe und Nicht-Liebe sind eins das kontradiktorische Gegentheil vom anderen. Nicht-Liebe ist eine wahrhafte Verneinung, aber in Ansehung dessen, wozu man sich einer Verbindlichkeit zu lieben bewusst ist, ist diese Verneinung nur durch reale Entgegensetzung und mithin nur als eine Beraubung möglich. Und in einem solchen Falle ist nicht zu lieben und zu hassen nur eine Verschiedenheit in Graden. Alle Unterlassungen, die zwar Mängel einer grösseren moralischen Vollkommenheit sind, aber nicht Unterlassungs sünden, sind dagegen nichts, als Verneinungen schlechthin einer gewissen Tugend und nicht Beraubungen oder Untugend. Von dieser Art sind die Mängel der Heiligen und die Fehler edler Seelen. Es fehlt ein gewisser grösserer Grund der Vollkommenheit und der Mangel äussert sich nicht um der Entgegenwirkung willen.

Man könnte die Anwendung der angeführten Begriffe auf die Gegenstände der praktischen Weltweisheit noch sehr erweitern. Verbote sind negative Gebote, Strafen negative Belohnungen u. s. w. Allein meine Absicht ist für jetzt erreicht, wenn nur der Gebrauch dieses

Gedankens überhaupt verstanden wird. Ich bemerke wohl, dass Lesern von aufgeklärter Einsicht die bisherige Erläuterung weitläuftiger vorkommen werde, als nöthig ist. Allein man wird mich entschuldigen, sobald man bedenkt, dass es sonsten noch ein sehr ungelehriges Geschlecht von Beurtheilern gebe, welche, indem sie ihr Leben nur mit einem einzigen Buche zubringen, nichts verstehen, als was darin enthalten ist, und in Ansehung deren die äusserste Weitläuftigkeit nicht überflüssig ist. 5)

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Wir wollen noch ein Beispiel aus der Naturwissenschaft entlehnen. In der Natur giebt es viele Beraubungen aus dem Conflictus zweier wirkenden Ursachen, deren eine die Folge der anderen durch reale Entgegensetzung aufhebt. Es ist aber oftmals ungewiss, ob es nicht vielleicht blos die Verneinung des Mangels sei, weil eine positive Ursache fehlt, oder ob es die Folge der Opposition wahrhafter Kräfte sei, so wie die Ruhe entweder der fehlenden Bewegursache, oder dem Streit zweier einander aufhaltenden Bewegkräfte beizumessen ist. Es ist z. E. eine berühmte Frage, ob die Kälte eine positive Ursache erheische, oder ob sie, als ein Mangel schlechthin, der Abwesenheit der Ursache der Wärme beizumessen sei. Ich halte mich, so weit es zu meinem Zwecke dient, hierbei ein wenig auf. Ohne Zweifel ist die Kälte selber nur eine Verneinung der Wärme, und es ist leicht einzusehen, dass sie an sich selbst auch ohne positiven Grund möglich sei. Eben so leicht ist es aber zu verstehen, dass sie auch von einer positiven Ursache herrühren könne und wirklich bisweilen daraus entspringe, was man auch für eine Meinung vom Ursprung der Wärme annehmen mag. Man kennt keine absolute Kälte in der Natur, und wenn man von ihr redet, so versteht man sie nur vergleichungsweise. Nun stimmen Erfahrung und Vernunftgründe zusammen, den Gedanken des berühmten von Musschenbroeck zu bestätigen: dass die Erwärmung nicht in der inneren Erschütterung, sondern in dem wirklichen Uebergange des Elementarfeuers aus einer Materie in die andere bestehe, obgleich dieser Uebergang ver

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muthlich mit einer inneren Erschütterung begleitet sein mag, imgleichen diese erregte Erschütterung den Austritt des Elementarfeuers aus den Körpern befördert. Auf diesem Fuss, wenn das Feuerelement unter den Körpern in einem gewissen Raum im Gleichgewichte ist, sind sie verhältnissweise gegen einander weder kalt noch warm. dieses Gleichgewicht gehoben, so ist diejenige Materie, in die das Elementarfeuer übergeht, verhältnissweise gegen den, der dadurch desselben beraubt wird, kalt, dieser dagegen heisst, insofern er in jenen diese Materie der Wärme überlässt, in Ansehung desselben warm. Der Zustand in dieser Veränderung heisst bei jenem Erwärmung, bei diesem Erkältung, bis alles wiederum im Gleichgewichte ist.

Nun ist wohl nichts natürlicher zu gedenken, als dass die Anziehungskräfte der Materie dieses subtile und elastische Flüssige so lange in Bewegung setzen und die Masse der Körper damit anfüllen, bis es allerwärts im Gleichgewicht ist, wenn nämlich die Räume in dem Verhältniss der Anziehungen, die daselbst wirken, damit angefüllt sind. Und hier fällt es deutlich in die Augen, dass eine Materie, die eine andere in der Berührung_erkältet, durch wahrhafte Kraft (der Anziehung) das Elementarfeuer raube, womit die Masse des anderen erfüllt war, und dass die Kälte jenes Körpers eine negative Wärme genannt werden könne, weil die Verneinung, die in dem wärmeren Körper daraus folgt, eine Beraubung ist. Allein hier würde die Einführung dieser Benennung ohne Nutzen und nicht viel besser, als ein Wortspiel sein. Meine Absicht ist hierbei nur auf dasjenige, was folgt, gerichtet.

Es ist lange bekannt, dass die magnetischen Körper zwei einander entgegenstehende Enden haben, die man Pole nennt, und deren der eine den gleichnamigen Punkt an dem anderen zurückstösst und den anderen anzieht. Allein der berühmte Professor Aepinus zeigte in einer Abhandlung von der Aehnlichkeit der elektrischen Kraft mit der magnetischen, dass elektrisirte Körper bei einer gewissen Behandlung eben sowohl zwei Pole an sich zeigen, deren einen er den positiven, den anderen den negativen Pol nennt, und wovon der eine dasjenige an

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zieht, was der andere zurückstösst. Diese Erscheinung wird am deutlichsten wahrgenommen, wenn eine Röhre einem elektrischen Körper nahe genug gebracht wird, doch so, dass sie keinen Funken aus ihm zieht. Ich behaupte nun: dass bei den Erwärmungen oder Erkältungen, d. i. bei allen Veränderungen der Wärme oder Kälte, vornehmlich den schnellen, die in einem zusammenhängenden Mittelraum oder in die Länge ausgebreiteten Körper an einem Ende geschehen, jederzeit gleichsam zwei Pole der Wärme anzutreffen sind, wovon der eine positiv, d. i. über den vorigen Grad des gedachten Körpers, der andere negativ, nämlich unter diesen Grad warm, d. i. kalt wird. Man weiss, dass verschiedene Erdgrüfte inwendig desto stärkeren Frost zeigen, je mehr draussen die Sonne Luft und Erde erwärmt, und Matthias Bel, der die im karpathischen Gebirge beschreibt, fügt hinzu, dass es eine Gewohnheit der Bauern in Siebenbürgen sei, ihr Getränk kalt zu machen, wenn sie es in die Erde verscharren und ein schnell brennendes Feuer darüber machen. Es scheint, dass die Erdschicht in dieser Zeit auf der oberen Fläche nicht positiv warm werden könne, ohne in etwas grösserer Tiefe die Negative davon zu sein. Boerhave führt sonst an, dass das Feuer der Schmiedeheerde in einem gewissen Abstande Kälte verursacht habe. In der freien Luft über der Erdoberfläche scheint eben sowohl diese Entgegensetzung, vornehmlich bei den schnellen Veränderungen zu herrschen. Herr Jacobi führt irgendwo in dem Hamburg. Magazin an, dass bei der strengen Kälte, die oftmals weit gestreckte Länder angreift, doch gemeiniglich in einem langen Striche ansehnliche Plätze zwischen inne liegen, wo es temperirt und gelinde ist. Eben so fand Herr Aepinus bei der Röhre, deren ich gedachte, dass von dem positiven Pol des einen bis zum negativen des anderen in gewissen Weiten die positiv- und negativelektrischen Stellen abwechselten. Es scheint, es könne in irgend einer Region der Luft die Erwärmung nicht anheben, ohne in einer anderen gleichsam die Wirkung eines negativen Pols, d. i. Kälte eben dadurch zu veranlassen, und auf diesen Fuss wird umgekehrt die an einem Orte behende zunehmende Kälte die Wärme in einer anderen Gegend zu vermehren dienen, gleichwie, wenn ein an einem

Ende erhitzter metallener Stab plötzlich im Wasser abgekühlt wird, die Wärme des anderen Endes zunimmt.*)

*) Die Versuche, um sich der entgegengesetzten Pole der Wärme gewiss zu machen, würden, wie mich dünkt, leicht anzustellen sein. In einer blechernen horizontalen Röhre von der Länge eines Fusses, welche an beiden Enden ein paar Zoll senkrecht in die Höhe gebogen wäre, wenn sie mit Weingeist angefüllt und auf der einen Seite derselbe angesteckt würde, indem in dem andern Ende das Thermometer stände, würde sich meinem Vermuthen nach diese negative Entgegensetzung bald zeigen; wie man denn, um durch einseitige Erkältung die Wirkung auf der andern Seite wahrzunehmen, sich des Salzwassers bedienen könnte, in welches auf der einen Seite gestossenes Eis geworfen werden könnte. Bei dieser Gelegenheit will ich nur noch bemerken, von welcher Beobachtung, die ich wünsche angestellt zu sehen, aller Wahrscheinlichkeit nach die Erklärung der künstlichen Kälte und Wärme bei den Auflösungen gewisser vermengten Materien viel Licht bekommen würde. Ich überrede mich nämlich, dass der Unterschied dieser Erscheinungen vornehmlich darauf beruhen werde, ob die vermengten Flüssigkeiten nach der völligen Vereinbarung mehr oder weniger Volumen einnehmen, als ihr Raumesinhalt zusammengenommen vor der Vermischung austrug. Im ersteren Falle behaupte ich, werden sie Wärme, im zweiten Kälte am Thermometer zeigen. Denn in dem Falle, da sie nach der Vermengung ein dichteres Medium geben, ist nicht allein mehr attractivische Materie, welche das Element des benachbarten Feuers in sich zieht, als vorher in einem gleichen Raum, sondern es ist auch zu vermuthen, dass das Anziehungsvermögen grösser werde, als nach Proportion der zunehmenden Dichtigkeit, indessen dass vielleicht die Ausspannungskraft des verdichteten Aethers nur so, wie bei der Luft in Verhältniss der Dichtigkeit zunimmt, weil nach dem Newton die Anziehungen in grosser Nahheit in viel grösserer Proportion stehen, als der umgekehrten der Entfernungen. Auf solche Weise wird die Mischung, wenn sie mehr Dichtigkeit hat, als beider mengbarer Sachen Dichtigkeit vor der Vermengung zusammengenommen, in Ansehung der benachbarten Körper das Uebergewicht der Anziehung gegen das Elementarfeuer zeigen und, indem sie das Thermometer desselben beraubt, Kälte blicken lassen. Alles aber wird umgekehrt vor sich gehen, wenn die Mischung ein dünneres Medium giebt. Denn indem sie eine Menge Elementarfeuers fahren lässt, so ziehen es benachbarte Materien an und zeigen das Phänomenon der Wärme. Der Ausgang der Versuche entspricht nicht immer den Vermuthungen. Wenn aber die Versuche nicht lediglich eine Sache des Ohngefährs sein sollen, so müssen sie durch Vermuthung veranlasst werden.

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