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nämlich die Bewegung durch eine entgegengesetzte Kraft aufgehoben wird. 2)

Zweiter Abschnitt.

In welchem Beispiele aus der Weltweisheit angeführt werden, darin der Begriff der negativen Grössen vorkommt.

1.

Ein jeder Körper widersteht durch Undurchdringlichkeit der Bewegkraft eines anderen, in den Raum einzudringen, den er einnimmt. Da er bei der Kraft des anderen zur Bewegung gleichwohl ein Grund seiner Ruhe ist, so folgt aus dem Vorigen, dass die Undurchdringlichkeit ebensowohl eine wahre Kraft in den Theilen des Körpers vorraussetze, vermittelst deren sie zusammen einen Raum einnehmen, als diejenige immer sein mag, womit ein anderer in diesem Raum sich zu bewegen bestrebt ist.

Stellet euch zur Erläuterung zwei Federn vor, die gegen einander streben. Ohne Zweifel halten sie sich durch gleiche Kräfte in Ruhe. Setzet zwischen beide eine Feder von gleicher Spannkraft, so wird diese durch ihre Bestrebung die nämliche Wirkung leisten und beide Federn nach der Regel der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung in Ruhe erhalten. An die Stelle dieser Feder bringt dagegen einen jeden festen Körper dazwischen, so wird durch ihn eben dasselbe geschehen, und die vorher gedachten Federn werden durch seine Undurchdringlichkeit in Ruhe erhalten werden. Die Ursache der Undurchdringlichkeit ist demnach eine wahre Kraft, denn sie thut dasselbe, was eine wahre Kraft thut. Wenn ihr nun Anziehung eine Ursache, welche es auch sein mag, nennt, vermöge deren ein Körper andere nöthigt, gegen den Raum, den er einnimmt, zu drücken oder sich zu bewegen (es ist aber hier genug, sich diese Anziehung nur zu gedenken), so ist die Undurchdringlichkeit eine negaKant, kl. logische Schriften. I.

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tive Anziehung. Dadurch wird alsdann angezeigt, dass sie ein ebenso positiver Grund sei, als eine jede andere Bewegkraft in der Natur; und da die negative Anziehung eigentlich eine wahre Zurückstossung ist, so wird in den Kräften der Elemente, vermöge deren sie einen Raum einnehmen, doch aber so, dass sie diesem selbst Schranken setzen, durch den Conflictus zweier Kräfte, die einander entgegengesetzt sind, Anlass zu vielen Erläuterungen gegeben, worin ich glaube, zu einer deutlichen und zuverlässigen Erkenntniss gekommen zu sein, die ich in einer anderen Abhandlung bekannt machen werde. 3)

2.

Wir wollen ein Beispiel aus der Seelenlehre nehmen. Es ist die Frage, ob Unlust lediglich ein Mangel der Lust, oder ein Grund der Beraubung derselben, der an sich selbst zwar etwas Positives und nicht lediglich das kontradiktorische Gegentheil von Lust, ihr aber im Realverstande entgegengesetzt sei, und also ob die Unlust eine negative Lust könne genannt werden? Nun lehrt gleichfalls die innere Empfindung, dass die Unlust mehr als eine blosse Verneinung sei. Denn was man auch nur für Lust haben mag, so fehlt hierbei doch immer einige mögliche Lust, so lange wir eingeschränkte Wesen sind. Derjenige, welcher ein Medikament, das wie das reine Wasser schmeckt, einnimmt, hat vielleicht eine Lust über die erwartete Gesundheit; in dem Geschmacke hingegen fühlt er eben keine Lust, dieser Mangel ist aber noch nicht Unlust. Gebt ihm ein Arzneimittel von Wermuth. Diese Empfindung ist sehr positiv. Hier ist nicht ein blosser Mangel von Lust, sondern etwas, was ein wahrer Grund des Gefühls ist, welches man Unlust nennt.

Allein man kann aus der angeführten Erläuterung allenfalls nur erkennen, dass die Unlust nicht lediglich ein Mangel, sondern eine positive Empfindung sei; dass sie aber sowohl etwas Positives, als auch der Lust real entgegengesetzt sei, erhellt am deutlichsten auf folgende Art. Man bringt einer spartanischen Mutter die Nachricht, dass ihr Sohn im Treffen für das Vaterland heldenmüthig gefochten habe. Das angenehme Gefühl der Lust bemächtigt sich ihrer Seele. Es wird hinzugefügt, er

habe hierbei einen rühmlichen Tod erlitten. Dieses vermindert gar sehr jene Lust und setzt sie auf einen geringeren Grad. Nennt die Grade der Lust aus dem ersten Grunde allein 4a, und die Unlust sei blos eine Verneinung = 0, so ist, nachdem beides zusammengenommen worden, der Werth des Vergnügens 4a+0=4a, und also wäre die Lust durch die Nachricht des Todes nicht vermindert worden, welches falsch ist. Es sei demnach die Lust aus seiner bewiesenen Tapferkeit 4a, und was da übrig bleibt, nachdem aus der anderen Ursache die Unlust mitgewirkt hat, 3a, so ist die Unlusta und sie ist die Negative der Lust, nämlich a und daher 4a a= 3 a.

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Die Schätzung des ganzen Werths der gesammten Lust in einem vermischten Zustande würde auch sehr ungereimt sein, wenn Unlust eine blosse Verneinung und dem Zero gleich wäre. Jemand hat ein Landgut gekauft, dessen Ertrag jährlich 2000 Rthlr. ist. Man drücke den Grad der Lust über diese Einnahme, insofern sie rein ist, mit 2000 aus. Alles, was er aber von dieser Einnahme abgeben muss, ohne es zu geniessen, ist ein Grund der Unlust. Grundzins 200 Rthlr., Gesindelohn 100 Rthlr., Reparatur 150 Rthlr. jährlich. Ist die Unlust eine blosse Verneinung = 0, so ist alles in einander gerechnet die Lust, die er an seinem Kauf hat, 2000+0+0+0=2000, d. i. eben so gross, als wenn er den Ertrag ohne Abgaben geniessen könnte. Nun ist aber offenbar, dass er sich nicht mehr über diese Einkünfte zu erfreuen hat, als in sofern ihm nach Abzug der Abgaben was übrig bleibt, und es ist der Grad des Wohlgefallens 2000 — 200 ·

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100

150 1550. Es ist demnach die Unlust nicht blos ein Mangel der Lust, sondern ein positiver Grund, diejenige Lust, die aus einem anderen Grunde stattfindet, ganz oder zum Theil aufzuheben, und ich nenne sie daher eine negative Lust. Der Mangel der Lust sowohl als der Unlust, in sofern er aus dem Mangel der Gründe hierzu herzuleiten ist, heisst Gleichgültigkeit (indifferentia). Der Mangel der Lust sowohl als Unlust, insofern er als eine Folge aus der Realopposition gleicher Gründe abhängt, heisst das Gleichgewicht (aequilibrium); beides ist Zero, das Erstere aber eine Verneinung schlechthin, das Zweite eine Beraubung. Der Zustand des Gemüths,

in welchem, bei ungleicher entgegengesetzter Lust und Unlust, von einer dieser beiden Empfindungen etwas übrig bleibt, ist das Uebergewicht der Lust oder Unlust (suprapondium voluptatis vel taedii). Nach dergleichen Begriffen suchte der Herr von Maupertius in seinem Versuche der moralischen Weltweisheit die Summe der Glückseligkeit des menschlichen Lebens zu schätzen, und sie kann auch nicht anders geschätzt werden, nur dass diese Aufgabe für Menschen unauflöslich ist, weil nur gleichartige Empfindungen können in Summen gezogen werden, das Gefühl aber in dem sehr verwickelten Zustande des Lebens nach der Mannichfaltigkeit der Rührungen sehr verschieden scheint. Der Calcul gab diesem gelehrten Manne ein negatives Facit, worin ich ihm gleichwohl nicht beistimme.

Man

Aus diesen Gründen kann man die Verabscheuung eine negative Begierde, den Hass eine negative Liebe, die Hässlichkeit eine negative Schönheit, den Tadel einen negativen Ruhm etc. nennen. könnte hierbei vielleicht denken, dass dieses alles nur eine Krämerei mit Worten sei. Allein nur diejenigen werden so urtheilen, die nicht wissen, welcher Vortheil darin steckt, wenn die Ausdrücke zugleich das Verhältniss zu schon bekannten Begriffen anzeigen, wovon die mindeste Erfahrenheit in der Mathematik Jedermann leicht belehren kann. Der Fehler, darin um dieser Vernachlässigung willen viele Philosophen verfallen sind, liegt am Tage. Man findet, dass sie mehrentheils die Uebel wie blosse Verneinungen behandeln, ob es gleich nach unseren Erläuterungen offenbar ist, dass es Uebel des Mangels (mala defectus) und Uebel der Beraubung (mala privationis) giebt. Die ersteren sind Verneinungen, zu deren entgegengesetzter Position kein Grund ist, die letzteren setzen positive Gründe voraus, dasjenige Gute aufzuheben, wozu wirklich ein anderer Grund ist, und sind ein negatives Gute. Dieses letztere ist ein viel grösseres Uebel, als das erstere. Nicht-Geben ist in Verhältniss auf den, der bedürftig ist, ein Uebel; aber Nehmen, Erpressen, Stehlen ist in Absicht auf ihn ein viel grösseres, und Nehmen ist ein negatives Geben. Man könnte ein Aehnliches bei logischen Verhältnissen zeigen. Irrthümer sind negative Wahrheiten (man vermenge dieses

nicht mit der Wahrheit negativer Sätze), eine Widerlegung ist ein negativer Beweis; allein ich besorge, mich hierbei zu lange aufzuhalten. Es ist meine Absicht, nur diese Begriffe in den Gang zu bringen, der Nutzen wird sich durch den Gebrauch finden, und ich werde davon im dritten Abschnitt einige Aussichten geben. 4)

3.

Die Begriffe der realen Entgegensetzung haben auch ihre nützliche Anwendung in der praktischen Weltweisheit. Untugend (demeritum) ist nicht lediglich eine Verneinung; sondern eine negative Tugend (meritum negativum). Denn Untugend kann nur stattfinden, insofern als in einem Wesen ein inneres Gesetz ist (entweder blos das Gewissen oder auch das Bewusstsein eines positiven Gesetzes), welchem entgegengehandelt wird. Dieses innere Gesetz ist ein positiver Grund einer guten Handlung, und die Folge kann blos darum Zero sein, weil diejenige, welche aus dem Bewusstsein des Gesetzes allein fliessen würde, aufgehoben wird. Es ist also hier eine Beraubung, eine reale Entgegensetzung und nicht blos ein Mangel. Man bilde sich nicht ein, dass dieses lediglich auf die Begehungsfehler (demerita commissionis) und nicht zugleich auf die Unterlassungsfehler (demerita omissionis) gehe. Ein unvernünftig Thier verübt keine Tugend. Es ist diese Unterlassung aber nicht Untugend (demeritum). Denn es ist keinem inneren Gesetze entgegengehandelt worden. Es ward nicht durch inneres moralisches Gefühl zu einer guten Handlung getrieben, und dadurch, dass es ihm widerstanden, oder vermittelst eines Gegengewichts wurde das Zero oder die Unterlassung als eine Folge nicht bestimmt. Sie ist hier eine Verneinung schlechthin, aus Mangel eines positiven Grundes, und keine Beraubung. Setzet dagegen einen Menschen, der demjenigen, dessen Noth er sieht und dem er leicht helfen kann, nicht hilft. Hier ist, wie in dem Herzen eines jeden Menschen, so auch bei ihm ein positives Gesetz der Nächstenliebe. Dieses muss überwogen werden. Es gehört hierzu eine wirkliche innere Handlung aus Bewegungsursachen, damit die Unterlassung möglich sei. Dieses Zero ist die Folge einer realen Entgegensetzung.

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