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Freiheit in Missbrauch und vermessenes Zutrauen auf Unabhängigkeit ihres Vermögens von aller Einschränkung ausarten, in eine Ueberredung von der Alleinherrschaft der spekulativen Vernunft, die nichts annimmt, als was sich durch objektive Gründe und dogmatische Ueberzeugung rechtfertigen kann, alles Uebrige aber kühn wegleugnet. Die Maxime der Unabhängigkeit der Vernunft von ihrem eigenen Bedürfniss (Verzichtthuung auf Vernunftglauben) heisst nun Unglaube; nicht ein historischer, denn den kann man sich gar nicht als vorsätzlich, mithin auch nicht als zurechnungsfähig denken, (weil jeder einem Faktum, welches nur hinreichend bewährt ist, ebenso gut, als einer mathematischen Demonstration glauben muss, er mag wollen oder nicht;) sondern ein Vernunftglaube, ein misslicher Zustand des menschlichen Gemüths, der den moralischen Gesetzen zuerst alle Kraft der Triebfedern auf das Herz, mit der Zeit sogar ihnen selbst alle Auktorität benimmt und die Denkungsart veranlasst, die man Freigeisterei nennt, d. i. den Grundsatz, gar keine Pflicht mehr zu erkennen. Hier mengt sich nun die Obrigkeit ins Spiel, damit nicht selbst bürgerliche Angelegenheiten in die grösste Unordnung kommen; und da das behendeste und doch nachdrücklichste Mittel ihr gerade das beste ist, so hebt sie die Freiheit zu denken gar auf, und unterwirft dieses, gleich anderen Gewerben, den Landesverordnungen. Und so zerstört Freiheit im Denken, wenn sie so gar unabhängig von Gesetzen der Vernunft verfahren will, endlich sich selbst.

Freunde des Menschengeschlechts und dessen, was ihm am heiligsten ist! Nehmt an, was euch nach sorgfältiger und aufrichtiger Prüfung am glaubwürdigsten scheint, es mögen nun Fakta, es mögen Vernunftgründe sein; nur streitet der Vernunft nicht das, was sie zum höchsten Gut auf Erden macht, nämlich das Vorrecht ab, der letzte Probirstein der Wahrheit *) zu sein. Widrigenfalls werdet

*) Selbstdenken heisst, den obersten Probirstein der Wahrheit in sich selbst (d. i. in seiner eigenen Vernunft) suchen; und die Maxime, jederzeit selbst zu denken, ist die Aufklärung. Dazu gehört nun eben so viel nicht, als sich diejenigen einbilden, welche die Aufklärung in Kenntnisse setzen; da sie vielmehr ein negativer Grundsatz im Gebrauche seines Erkenntnissvermö

ihr, dieser Freiheit unwürdig, sie auch sicherlich einbüssen, und dieses Unglück noch dazu dem übrigen schuldlosen Theile über den Hals ziehen, der sonst wohl gesinnt gewesen wäre, sich seiner Freiheit gesetzmässig und dadurch auch zweckmässig zum Weltbesten zu bedienen! 1)

gens ist, und öfter der, so an Kenntnissen überaus reich ist, im Gebrauche derselben am wenigsten aufgeklärt ist. Sich seiner eigenen Vernunft bedienen, will nichts weiter sagen, als bei allem dem, was man annehmen soll, sich selbst fragen: ob man es wohl thunlich finde, den Grund, warum man etwas annimmt, oder auch die Regel, die aus dem, was man annimmt, folgt, zum allgemeinen Grundsatze seines Vernunftgebrauchs zu machen? Diese Probe kann ein Jeder mit sich selbst anstellen; und er wird Aberglauben und Schwärmerei bei dieser Prüfung alsbald verschwinden sehen, wenn er gleich bei weitem die Kenntnisse nicht hat, beide aus objektiven Gründen zu widerlegen. Denn er bedient sich blos der Maxime der Selbsterhaltung der Vernunft. Aufklärung in einzelnen Subjekten durch Erziehung zu gründen, ist also gar leicht; man muss nur früh anfangen, die jungen Köpfe zu dieser Reflexion zu gewöhnen. Ein Zeitalter aber aufzuklären, ist sehr langwierig; denn es finden sich viel äussere Hindernisse, welche jene Erziehungsart theils verbieten, theils erschweren.

Ueber

Philosophie überhaupt,

zur Einleitung

in die Kritik der Urtheilskraft.

1794.

Während der Ausarbeitung hatte Herr Prof. Kant die Güte, mir ein Manuscript zuzuschicken, welches eine Einleitung in die Kritik der Urtheilskraft enthielt, die er ehedem zu seinem Werke bestimmt und nur ihrer Stärke wegen verworfen hatte. Er überliess es mir, in meiner Schrift davon Gebrauch zu machen. Da ich nun besorgte, dass der Leser es nicht billigen würde, wenn ich meine Erläuterungen mit einer Arbeit des grossen Mannes, die dem Publikum nicht mitgetheilt worden, vermischte, so enthielt ich mich alles Gebrauchs davon in meinem Aufsatze. Nachdem ich ganz damit fertig war, habe ich einen wörtlichen Auszug aus dem Manuscript gemacht und dasjenige ausgehoben, was ich Eigenthümliches darin fand. Doch habe ich nicht vermeiden können, Manches mit aufzunehmen, was das gedruckte Werk schon enthält, weil der Zusammenhang es erforderte.“

Jac. Sigism. Beck erläut. Auszug aus den krit. Schr. des
Herrn Prof. Kant. Riga 1794. Bd. II. Vorr. S. I. II. 1)

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