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männer an die Philosophen ist die stillschweigende, welche nichts anderes bedeutet, als daß die Philosophen ungefragt reden dürfen. Darum bezeichnet sie Kant als geheime Räthe“, weil sie öffentlich oder ausdrücklich keiner in Staatsangelegenheiten fragen wird. Der einzige geheime Artikel zum ewigen Frieden ist in dem Say enthalten: „Die Marimen der Philosophen über die Bedingungen der Möglichkeit des öffentlichen Friedens sollen von den zum Kriege gerüsteten Staaten zu Rathe gezogen werden".

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Plato sezte die Verwirklichung seines Idealstaats, welcher ein vollkommenes Kunstwerk und Abbild der Gerechtigkeit sein wollte, auf eine Bedingung, die unerfüllt blieb: wenn die Könige philosophiren oder die Philosophen Könige werden! Diese stolze Forderung macht Kant nicht. Aber er ist nicht weniger stolz in der Art, wie er fie verwirst. Daß Könige philosophiren oder Philosophen Könige würden, ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen, weil der Besitz der Gewalt das freie Urtheil der Vernunft unvermeidlich verdirbt. Daß aber Könige oder königliche (sich selbst nach Gleichheitsgesehen beherrschende) Völker die Klasse der Philosophen nicht schwinden oder verstummen, sondern öffentlich sprechen lassen, ist beiden zur Be= leuchtung ihres Geschäftes unentbehrlich und, weil diese Klasse ihrer Natur nach der Rottirung und Clubbenverbindung unfähig ist, wegen der Nachrede einer Propaganda verdachtlos.“

Dreizehntes Capitel.

Die Tugendlehre. A. Die Pflichten gegen sich selbßt.

I. Begriff und Umfang der Tugendpflichten.
1. Die ethischen Pflichten und deren Eintheilung.

Die Freiheitsgeseze sind doppelter Art, äußere und innere: die Erfüllung der ersten ist erzwingbar, die der anderen nicht; jene sind Rechtsgesetze, diese Moralgesetze. Jedes Gesetz ist eine zu erfüllende Pflicht. Wenn es sich um ein inneres oder moralisches Gesetz handelt, so geschieht die Erfüllung bloß um der Pflicht willen. In der Gesetz= mäßigkeit der Triebfeder besteht hier einzig und allein die Pflichtmäßigkeit. Die äußeren Freiheitsgeseze fordern nur, daß die Hand

lung mit dem Gesetz übereinstimme, alles andere ist ihnen gleichgültig; die inneren dagegen, daß die Gesinnung dem Geseze und nur diesem entspreche. Die Rechtsgesetze beziehen sich bloß auf die Handlung, die Moralgesetze auf die Maxime der Handlung; die Handlung kann er= zwungen werden, nie die Gesinnung: solche Pflichten, deren Erfüllung unerzwingbar ist, heißen ethische im Unterschiede von den juridischen. Wozu uns die sittlichen Pflichten verbinden, ohne daß sie uns jemals dazu zwingen können, ist die pflichtgemäße Gesinnung, welche an den sinnlichen und selbstsüchtigen Neigungen ihren hartnäckigen und immer erneuten Gegner findet: fie lebt im fortwährenden Kampfe mit den widerstrebenden Neigungen, mit dieser „Brut gesetzwidriger Gesinnungen“, und erprobt sich nur durch den Sieg über diesen beständigen und rast= losen Feind. Man kann die Stärke des moralischen Grundsatzes und seiner Kraft an der Stärke der bekämpften und überwundenen Neig= ungen messen: diese im Kampfe bewährte Gesinnungsfestigkeit ist die fittliche Tapferkeit, die eigentliche Kriegsehre des Menschen, die Tugend. Die ethischen Geseze verpflichten uns zur Tugend und können darum „Tugendpflichten" genannt werden: es sind diejenigen Pflichten, deren Erfüllung nur möglich ist durch die tugendhafte Gesinnung.1

Jede Pflicht ist ein zu erfüllender Zweck von unbedingter Geltung. Ein solcher absoluter Zweck kann nur die zwecksehende oder praktische Vernunft, der vernünftige Wille oder die Person sein. Innerhalb unserer Welt ist die einzige Person der Mensch: darum ist der Mensch als Selbstzweck oder die Menschenwürde das einzige Object, worauf sich alle unsere Pflichten beziehen. Es giebt nur Pflichten gegen Menschen und nur im uneigentlichen Sinne Pflichten gegen andere Wesen. Gegenstand und Thema aller Pflichten ist die Menschheit ent= weder in unserer eigenen Person oder in der unserer Nebenmenschen: in diese beiden Gebiete theilt sich demgemäß die Ethik.

Das oberste Pflichtgebot lautet: nimm in allen deinen Handlungen die Menschenwürde in dir und in den Anderen zum Zweck; thue nichts, was diesen Zweck beeinträchtigt! Handle stets aus Achtung der Menschenwürde und nie aus der entgegengesezten Marime! Wenn unser Wille der Menschenwürde völlig entspricht, so befinden wir uns

1 Metaph. Anfangsgr. d. Tugendlehre. Einleitung I. Erörterung des Begriffs einer Tugendlehre. (Bd. V. S. 202 flgd.) 2 S. oben Cap. VI. S. 73 bis 75. Metaph. Anfangsgr. d. Tugendlehre. Einleitung II. III. (Bd. V. S. 206-210.)

im Zustande der Vollkommenheit. Die äußere Vollkommenheit eines der Menschenwürde gemäßen Daseins ist die Glückseligkeit, die innere oder moralische ist unsere eigene That. Niemand vermag diese Art der Vollkommenheit in einem Anderen zu bewirken, denn niemand kann für einen Anderen wollen, wohl aber kann durch unsere thätige Mitwirkung die Glückseligkeit unserer Mitmenschen gefördert werden. Da= her läßt sich der Inhalt unserer Pflichten genauer so fassen: „mache zum Zweck deiner Handlungen die eigene Vollkommenheit und die fremde Glückseligkeit!" Jene bildet das durchgängige Thema aller Pflichten gegen uns selbst, diese das aller Pflichten gegen die Anderen. So find die Pflichten ihrem Inhalte nach verschieden: es giebt deshalb eine Mehrheit von Pflichten, darum auch eine Mehrheit von Tugenden, denn jede Pflichterfüllung ist Tugend.1

Die ethischen Gebote fordern die Handlung um der Pflicht willen: ich soll um ihrer selbst willen die eigene Vollkommenheit, wie die fremde Glückseligkeit befördern. Damit eröffnet sich vor mir ein weiter Spielraum des Handelns; das Gesetz sagt nicht, was ich im einzelnen Falle zu thun habe, es bestimmt nur meine Marime, nicht die Handlung selbst. Auf welche Art ich zum Besten der eigenen Vollkommen= heit und der fremden Glückseligkeit handeln soll, welche Mittel in dieser Absicht zu ergreifen sind, und was geschehen soll, wenn verschiedene Pflichten einander widerstreiten und einschränken: darüber sagt das ethische Gesetz nichts. Die Marime ist bestimmt und genau, die Be= folgung unbestimmt und weit. Je weiter die Verbindlichkeit, um so unvollkommener, je enger, um so vollkommener, die engste Verbindlichkeit, wodurch die Handlung in der genauesten Weise bestimmt wird, ist die vollkommenste. Je unvollkommener die Verbindlichkeit ist, um jo unvollkommener ist auch die verbindende Pflicht. Darum nennt Kant die Tugendpflichten, so weit sie positiv sind, „weit und unvoll= kommen"; fie sagen nur, was wir beabsichtigen, nicht was wir thun sollen; sie sagen genau, was wir nicht thun sollen: sie sind vollkommen als Verbote, nicht als Gebote.

In diesem Punkte unterscheiden sich wieder die Moralgeseße von den Rechtsgesehen, die ethische Verbindlichkeit von der juridischen. Die juridische ist eng, die Rechtspflichten sind vollkommen; in dem engen Spielraume,

1 Metaph. Anfangsgr. der Tugendl. Einleitung IV-V. (S. 210-214.) Fischer, Gesch. d. Philof. V. 4. Aufl. N. A.

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welchen sie vorschreiben, bewegt sich der gebundene und erzwingbare Gehorsam mit voller Sicherheit. Eine solche Sicherheit fehlt in dem weiten Spielraume des moralischen Handelns. Hier entsteht im Zusammenstoß der Umstände ein Widerstreit der Pflichten, welcher Ausnahmen zu rechtfertigen scheint und ein Abwägen der Fälle nöthig macht, wobei die willkürliche Reflexion sich in weiten Grenzen ergeht. So bildet sich in der Tugendlehre die Anlage zur „Casuistik“, welche in der Rechtslehre fehlt. Weil die ethischen Geseze vielumfassend und unbestimmt sind, gehört Uebung dazu, um in jedem gegebenen Falle die Pflicht richtig zu erkennen und demgemäß zu handeln: eine theoretische und praktische Uebung, zu deren Bestimmung die Ethik eine Methodenlehre giebt, welche die RechtsLehre bei der Natur ihrer Pflichten nicht nöthig hatte.1

2. Die tugendhafte Gesinnung und deren Gegentheil.

Mit dem Begriffe der Tugend ist auch der ihres Gegentheils ge= geben. Tugend ist Handlung aus pflichtmäßiger Marime: ihr Gegen= theil hat demnach den doppelten Fall, daß entweder alle Marime fehlt oder die entgegengesette wirkt. Entweder wird aus pflichtmäßiger Marime gehandelt oder aus gar keiner oder aus einer anderen als der pflichtmäßigen, d. h. aus pflichtwidriger Marime: der erste Fall ist die Tugend, die Gesinnung ist nie erzwingbar, darum ist die tugendhafte Handlung mehr als bloß schuldig, sie ist (rechtlich angesehen) ver= dienstlich; der zweite ist die Abwesenheit der Tugend, das nichtpflicht= mäßige, grundsaglose und darum moralisch werthlose Handeln oder der moralische Unwerth; der dritte ist das Handeln aus pflichtwidriger Gesinnung, die vorsätzliche Uebertretung der Pflicht, das conträre Gegentheil der Tugend oder das Laster.2

Tugend und Laster unterscheiden sich mithin durch die moralische Denkweise oder durch ihre Marimen, welche entgegengesetter Art sind: daher ist ihr Unterschied nicht graduell, sondern specifisch, sie sind aus dem Grunde, d. h. vermöge ihres Ursprungs verschieden. Hier ist der Punkt, wo sich die kantische Ethik der aristotelischen entgegenstellt. Aristoteles betrachtete die natürlichen Triebe gleichsam als den Stoff der

1 Metaph. Anfangsgr. d. Tugendlehre. Einleit. VII. (S. 215 flgd.) XVIII. Anmkg. (S. 239.) 2 Ebendas. Einleit. II. Anmkg. VII. (Bd. V. S. 208 u. S. 215 flgd.)

Tugend und diese als deren richtige Form, als deren harmonisches Verhältniß: die Tugend galt ihm als der maßvolle Trieb, als die richtige Mitte zwischen den beiden Extremen des Zuviel und Zuwenig. Es giebt eine natürliche Begierde nach Besit: wenn dieser Trieb in extremer Weise sich vermindert, so entsteht die Verschwendung; wenn er in extremer Weise wächst, so entsteht der Geiz; wenn er zwischen Verschwendung und Geiz die richtige Mitte hält, so bildet er die Libe= ralität, welche Sparsamkeit und Freigebigkeit in sich vereinigt. Die Liberalität ist Tugend, Verschwendung und Geiz find Laster. So bildet die Tugend die richtige Mitte entgegengesetter Triebe, das Gegentheil der Tugend ist der Trieb im Uebermaße entweder der Stärke oder des Mangels; die Tugend ist der wohlgeformte und maßvolle, das Lafter der formlose, ungemäßigte Trieb. Der Unterschied zwischen Tugend und Laster ist hier nicht generell, sondern graduell. Wenn diese aristotelische Theorie der Tugend richtig wäre, so würde nach unserem Philosophen folgen, daß man aus der Tugend durch Vermehrung oder Verminderung das Lafter erzeugen könnte, und ebenso umgekehrt, es würde folgen, daß man auf dem Wege von einem Laster zu dem entgegen= gesezten die Tugend wie eine Station passiren müßte, denn als das Mittlere liegt sie auf dem Wege zwischen beiden Extremen. So aber verfehlt man die richtige Unterscheidung zwischen Tugend und Laster, wie die richtige Unterscheidung der Laster selbst. Aus diesem doppelten Grunde ist die aristotelische Theorie unrichtig und unbrauchbar. Der Geiz ist die extreme Habsucht, die Verschwendung soll davon das maß= lose Gegentheil sein, als ob diese nicht auch habsüchtig, maßlos hab= süchtig, also ebenfalls geizig sein könnte, in sehr vielen Fällen sein muß! Der Verschwender will haben, um zu genießen; der Geizige will haben, um zu befizen: also unterscheiden sich beide nicht durch den Grad, sondern durch die Maxime ihrer Habsucht. Wenn die Absicht auf den Besiz die Marime der Handlungen bildet, wenn alle Handlungen auf diesen Zweck abzielen, so entsteht der Geizhals; wenn die Absicht auf den Genuß die Handlungen beherrscht, so entsteht der Verschwender. Hieraus erhellt, daß man nur durch die Art und Beschaffenheit der Maximen die Laster sowohl von der Tugend als von einander zu unterscheiden vermag.

Die Tugend ist nicht bloß eine: diesen Sag hält Kant der stoischen Sittenlehre entgegen. Die Tugend ist nichts Mittleres: dieser Sah gilt wider die aristotelische Ethik. Die Tugend ist nichts Empirisches:

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