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zu bekennen oder gar zu beschwören, wovon wir nicht vollkommen über= zeugt sind. Diese Gewißheit hat allein der moralische Glaube. Nur was wir moralisch sind und sein sollen, ist vollkommen gewiß: das sagt uns das Gewissen selbst. Von einem Factum außer uns giebt es keine absolute Gewißheit in uns, darum kann kein Geschichts- oder Offenbarungsglaube absolut gewiß sein. Ein bloßer Geschichtsglaube, weil ihm die moralische Gewißheit fehlt, läßt sich nicht betheuern oder als absolut gewiß behaupten; eine solche Betheuerung läßt sich von anderen nicht fordern, und wer sie verweigert oder andersgläubig ist, läßt sich nicht verdammen. Solche Betheuerungen, Forderungen, Verdammungen sind und können niemals wahrhaftig sein, sie sind darum stets gewissenlos.

Jede Verurtheilung im Namen des Glaubens ist pflichtwidrig, jedes verdammende Keßergericht urtheilt gewissenlos. „Wenn sich der Verfasser eines Symbols, wenn sich der Lehrer einer Kirche, ja jeder Mensch, sofern er innerlich sich selbst die Ueberzeugung von Sägen als göttlichen Offenbarungen gestehen soll, fragte: getrauest du dich wohl in Gegenwart des Herzenskündigers mit Verzichtung auf alles, was dir werth und heilig ist, dieser Säße Wahrheit zu betheuern? so müßte ich von der menschlichen (des Guten doch wenigstens nicht ganz unfähigen) Natur einen sehr nachtheiligen Begriff haben, um nicht vorauszusehen, daß auch der kühnste Glaubenslehrer hiebei zittern müßte." Der nämliche Mann, der so dreift ist zu sagen: wer an diese oder jene Geschichtslehre als eine theure Wahrheit nicht glaubt, der ist verdammt, der müßte doch auch sagen können: wenn das, was ich euch hier erzähle, nicht wahr ist, so will ich verdammt sein! Wenn es jemand gäbe, der einen solchen schrecklichen Ausspruch thun könnte, so würde ich rathen, sich in Ansehung seiner nach dem persischen Sprichwort von einem Hadgi zu richten: „Ist jemand einmal als Pilger in Mekka gewesen, so ziehe aus dem Hause, worin er mit dir wohnt; ist er zweimal da gewesen, so ziehe aus derselben Straße, wo er sich be= findet; ist er aber dreimal da gewesen, so verlasse die Stadt oder gar das Land, wo er sich aufhält.“

Jede Unaufrichtigkeit in Glaubenssachen ist Heuchelei. Wer einen Glauben betheuert ohne innere vollkommene Ueberzeugung, ist ein Heuchler. Gegen die Heuchelei schützt keineswegs der Vorwand, daß die öffentliche Gewalt das Glaubensbekenntniß befiehlt. Heuchelei ist das Gegentheil der Wahrhaftigkeit in Ansehung der Religion. Ueber die Wahrhaftigkeit

entscheidet nie eine öffentliche Vorschrift, sondern allein das Gewissen. Wenn man also den vorgeschriebenen Glauben behauptet ohne innerste Gewißheit, so ist man der Kirche gehorsam und vor dem eigenen Ge= wissen ein Heuchler. „O Aufrichtigkeit! du Asträa, die du von der Erde zum Himmel entflohen bist, wie zieht man dich (die Grundlage des Gewissens, mithin aller inneren Religion) von da zu uns wieder herab? Ich kann es zwar einräumen, wie wohl es sehr zu bedauern ist, daß Offenherzigkeit (die ganze Wahrheit, die man weiß, zu sagen) in der menschlichen Natur nicht angetroffen wird. Aber Aufrichtigkeit (daß alles, was man sagt, mit Wahrhaftigkeit gesagt sei) muß man von jedem Menschen fordern können, und wenn auch selbst dazu keine An= lage in unserer Natur wäre, deren Cultur nur vernachlässigt wird, so würde die Menschenrace in ihren eigenen Augen ein Gegenstand der tiefsten Verachtung sein müssen.“

Mit der moralischen Freiheit in der Religion nimmt im gleichen Maße die Wahrhaftigkeit ab, in eben dem Maße wächst die Heuchelei. Denn wer hier nicht wahrhaftig ist, der ist schon ein Heuchler. Unter der Herrschaft eines statutarischen Glaubens wird die Heuchelei zur Ge= wohnheit und kommt bis zum Grade einer behaglichen Unbefangen= heit. Man empfiehlt für das Glaubensbekenntniß das weiteste Gewissen gleichsam als Sicherheitsmarime nach dem argumentum a tuto: das Sicherste sei, alles zu glauben und diesen Glauben unbedenklich zu be= theuern; wenn manches unwahr und unnüz sei, so sei doch nichts schädlich, und der liebe Gott werde sich schon das Beste herausnehmen. Der sicherste Glaubensgrundsay sei: „Je mehr desto besser!" Bis dahin können Menschen gebracht werden: daß sie die Religion als Mittel brauchen, um ihrem Vortheile im gemeinen Sinne des Wortes die lezte Spur der Wahrhaftigkeit zu opfern!1

III. Der wahre Gottesdienst.

Nur der moralische Glaube ist vollkommen gewiß und darum gültig für alle, er wird von dem Unterschiede zwischen Gelehrten und Nichtgelehrten nicht berührt, denn dieser trifft nur den Geschichtsglauben und begrenzt dessen Mittheilbarkeit. Um sich den Inhalt des Geschichtsglaubens anzueignen, dazu gehören Mittel der Einsicht und Untersuchung die nicht jedem zugänglich sind. Von dieser Seite öffnet sich der Ge= 1 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Viertes Stück. Th. II. § 4. (Bb. VI. S. 370–376. Die beiden Anmkg. zu S. 375.) Fischer, Gesch. d. Philos. V. 4. Aufl. N. A.

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schichtsglaube bloß den Gelehrten; von seiten seiner Form, als eine Erzählung von Begebenheiten, ist der Geschichtsglaube für die Menge und scheint in dieser Gestalt ganz besonders geeignet, Volksreligion zu werden, aber hier verschließt er sich wieder den Gelehrten, die in der Erforschung und Untersuchung jener Begebenheiten so viele bedenkliche, theils unglaubwürdige, theils unglaubliche Züge finden, daß sie den Volksglauben nicht theilen. So bleibt als die allgemein mittheilbare, für alle Menschen gültige, von der gelehrten Bildung unabhängige Religion nur die moralische übrig.

Wenn aber der Geschichts- und Offenbarungsglaube durch den moralischen bedingt ist, so erleuchtet sich auch der wahre Grund, wie der religiöse Werth des Cultus. Dieser soll nicht etwa zerstört und der Religion entrissen werden, sondern an die Stelle der falschen Ver= bindung zwischen Gottesglaube und Gottesdienst soll die wahre treten. Die Verbindung ist falsch, wenn der Cultus die Bedingung der Religion ist, und diese nur in jenem besteht; sie ist richtig, wenn die Religion als sittliche Gesinnung dem Cultus zu Grunde liegt und dieser nichts anderes ist als die Darstellung oder das Sinnbild des Glaubens. „So viel liegt, wenn man zwei gute Sachen verbinden will, an der Ordnung, in der man sie verbindet! In dieser Unterscheidung besteht die wahre Aufklärung.'

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Hieraus erhellt, in welchem Sinne Kant den Cultus billigt und in welchem er denselben verwirft: er läßt ihn als moralisches Symbol gelten, nicht aber als mystisches Gnadenmittel. Als moralisches Symbol ist der Cultus eine Darstellung der guten Gesinnung, ein sinnbildliches oder symbolisches Handeln. Die gute Gesinnung will in der Tiefe des Gemüthes befestigt, nach außen in der Menschheit verbreitet, von Ge= schlecht zu Geschlecht fortgepflanzt und in der moralischen Gemeinschaft erhalten werden: in dieser Befestigung, Ausbreitung, Fortpflanzung und Erhaltung des wiedergeborenen Willens oder des praktischen Glaubens besteht das Reich Gottes auf Erden. Als ein Sinnbild der Befestigung erscheint die stille Andacht, das Privatgebet, die Einkehr des Menschen in das Innerste seines Gemüths, das Sinnbild der Ausbreitung ist die Theilnahme an der öffentlichen Gottesverehrung, das Kirchengehen, das der Fortpflanzung die Aufnahme der Kinder in das Reich Gottes, die Taufe, das der Erhaltung das gemeinschaftliche gläubige Mahl, die Communion. Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Viertes Stück. Th. II. § 3. (Bd. VI. S. 363.)

Die Bedeutung des Sinnbildes liegt nicht im Bilde, sondern im Einn. Der bedeutungsvolle Sinn dieser Cultushandlungen ist die moralische Gesinnung. Ohne diese ist jeder Cultus werthlos. Der Werth, welchen die Cultushandlung unabhängig von der Gesinnung haben soll, ist eine Einbildung, welche der Religionswahn erzeugt: dann ist die Bedeutung der Cultushandlung nicht mehr moralisch, sondern mystisch und sacramental, und die Handlung gilt nicht als Sinnbild, sondern als Gnadenmittel, dem eine erlösende Kraft, eine Gott wohlgefällige Beschaffenheit ohne Rücksicht auf unsere Gesinnung inwohnt. Eine solche Cultuslehre widerspricht auf doppelte Weise den reinen Religionsbegriffen: fie macht erstens die göttliche Gnade unabhängig von der menschlichen Gesinnung und diese selbst zu einer Gnadenwirkung Gottes, fie bedingt zweitens die göttliche Gnade durch ein äußeres Thun, ein Werk, dem sie die magische Kraft zuschreibt, das göttliche Wohl= gefallen zu gewinnen. Die grundlose Gnade widerstreitet dem Begriff der Gerechtigkeit, die durch äußere Mittel bedingte und auf den Menschen herabgelenkte Gnade ist gar nicht mehr Gnade, sondern Gunst. So wird durch eine solche Cultuslehre der Gottesglaube bis zur Idololatrie verdorben und der Mensch verführt, statt ein „Diener Gottes" lieber ein Günstling und Favorit des Himmels" sein zu wollen. „Zu diesem Ende befleißigt er sich aller erdenklichen Förmlichkeiten, wodurch angezeigt werden soll, wie sehr er die göttlichen Gebote verehre, um nicht nöthig zu haben, sie zu beobachten, und damit seine thatlosen Wünsche auch zur Vergütung der Uebertretung derselben dienen mögen, ruft er: «Herr! Herr!», um nur nicht nöthig zu haben, den Willen des himmlischen Vaters zu thun», und so macht er sich von den Feierlichkeiten im Gebrauch gewisser Mittel zur Be= lebung wahrhaft praktischer Gesinnungen den Begriff als von Gnaden= mitteln an sich selbst, giebt sogar den Glauben, daß sie es sind, selbst für ein wesentliches Stück der Religion aus und überläßt es der allgütigen Vorsorge, aus ihm einen besseren Menschen zu machen, indem er sich der Frömmigkeit statt der Tugend befleißigt, welche lettere doch mit der ersteren verbunden allein die Idee ausmachen kann, die man unter dem Worte Gottseligkeit (wahre Religionsgesinnung) versteht.” 1

1 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Viertes Stück. Allg. Anmfg. (Bd. VI. S. 376-389.)

IV. Summe der kantischen Religionslehre. Kant und Lessing.

Vergleichen wir die kantische Religionslehre, wie sie das Böse, die Erlösung, die Kirche und den Cultus in ihrem Zusammenhange aus einem Grundgedanken entwickelt hat, mit den geschichtlich ge= gebenen Glaubensformen: so macht sie gegen alle Religionen gemein= schaftliche Sache mit dem moralischen Kern und der Idee des Christenthums: sie verhält sich innerhalb der christlichen Kirche durchaus negativ zur katholischen und bejahend zum Kern der protestantischen Lehre, fie steht innerhalb des Protestantismus in der Lehre von der göttlichen Gnade gegen den calvinistischen Prädestinationsglauben, in der Lehre von den Sacramenten auf seiten der reformirten Vorstellungsweise gegen die magische des katholischen und gegen die mystische des lutherischen Glaubens. Sie deckt sich mit keinem kirchlichen Dogma und ist sich dieser Ungleichheit deutlich bewußt, sie verhehlt dieselbe nirgends.

Darf man sie mit außerkirchlichen Lehren vergleichen, ich meine mit der Idee des freien, nicht kirchlich gebundenen Christenthums, mit reli= giösen Vorstellungen ohne symbolische Geltung, so besteht die größte Uebereinstimmung zwischen Kant und Lessing. In keinem Punkte hat Lessing die Aufklärung seines Zeitalters mehr überflügelt, als in seinen religiösen Ideen, in keinem ist er der kritischen Philosophie näher ge= kommen. Sein Gegensatz zu Reimarus, in welchem die Aufklärung am weitesten vorgeschritten war, berührt schon den kantischen Standpunkt; er weiß die Offenbarung so zu begreifen, daß ihr das Kriterium der allgemeinen Geltung nicht fehlt. Mit Lessings tiefsinniger Ansicht von der Offenbarung als einer „Erziehung des Menschengeschlechts" ist Kant ganz einverstanden, er urtheilt über die Geschichte der Kirche genau so, wie Leffing über die Geschichte der Religion. Kant würde zum Repräsentanten der idealen Religion schwerlich einen Juden genommen haben, aber gewiß einen Menschen, welcher so denkt und handelt, wie Lessings Nathan. Soll die kantische Religionslehre durch ein Charakterbild anschaulich gemacht werden, so wüßte ich kein anderes zu wählen als diesen Typus.

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Was unser Philosoph „die Religion des guten Lebenswandels" im Gegensahe zur Religion der Gunstbewerbung" genannt hat, ist in Lessings Dichtung verkörpert: die eine in Nathan, die andere im Patriarchen. Jenem gilt die Pflicht, ein guter Mensch zu sein als die erste und einzige, dieser dagegen kennt nur die große

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