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die Epoche der Aufklärung, welche im Protestantismus entspringt. Die menschliche Vernunft hat in theoretischer Rücksicht ihre Grenze erkannt, sie bescheidet sich mit der Unerkennbarkeit der überfinnlichen Welt, fie hadert nicht mehr über Existenz und Nichteristenz der Glaubensobjecte; die moralische Vernunft hat begriffen, daß der Geschichts- und Kirchenglaube zur Erlösung und Seligkeit des Menschen nichts vermag; die Welt nimmt zu in der Einsicht, daß der religiöse Glaube seine Wurzel in der Gesinnung habe, die jeden äußeren Zwang ausschließt, daß kein kirchlicher Gewissenszwang ausgeübt werden dürfe, und die oberste Staatsgewalt selbst moralisch verpflichtet sei, die Gewissensfreiheit zu achten und zu schüßen.1 Damit sind die Bedingungen gegeben, unter denen der moralische Glaube Raum gewinnen, die sichtbare Kirche ihrem wahren Ziele, der unsichtbaren, zustreben und mit dieser das Reich Gottes er= scheinen kann, nicht als ein messianisches Ende der Welt, wie es die Apokalypse verkündet, sondern als ein moralisches in dem Willen und den Gesinnungen der Menschen. „Das Reich Gottes kommt nicht in sichtbarer Gestalt. Man wird auch nicht sagen: fiehe, hier oder da ist es, denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch!""

IV. Das Religionsgeheimniß.

1. Der Begriff des Mysteriums.

Unter dem Gesichtspunkte der Vernunftreligion ruht die Kirche und ihre Gemeinschaft auf dem Grunde des moralischen Glaubens. Diesem Begriff der Kirche liegt jenseits der Vernunftgrenzen eine andere Vorstellungsweise gegenüber, die den Grund der Kirche als ein undurchdringliches und heiliges Geheimniß betrachtet. Heilig kann ein Geheimniß nur sein, sofern es moralischer Natur ist. Wie aber kann das Moralische geheimnißvoll sein? Das Geheimniß verschließt sich der theoretischen Vernunft, es ist von seiten unseres Verstandes undurch= dringlich, weder erkennbar noch denkbar. Etwas kann sehr wohl unerkennbar sein und ist doch kein Geheimniß, das Unerforschliche ist nicht das Geheimnißvolle: die Freiheit ist kein Geheimniß und doch unerkennbar, die Schwere in der Natur ist allbekannt und doch in ihrem legten Grunde unerforschlich. Also der Charakter des Geheimnisses liegt darin, daß etwas von uns nicht gedacht, nicht ausgesprochen, nicht mit

1 Vgl. oben Buch I. Cap. XVII. (S. 248 flgd.) 2 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. (Bd. VI. S. 304-313.) Fischer, Gesch. d. Philos. V. 4. Aufl. N. A.

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getheilt werden kann: das Geheimnißvolle ist das Unmittheilbare, sein Gegentheil das Mittheilbare oder Oeffentliche. Was sich nie mittheilen läßt und seiner Natur nach stets verborgen bleibt, ist ein ewiges Geheimniß.

Es giebt Geheimnisse, die nicht ewig sind und nur so lange bestehen, bis es dem weiter dringenden Geiste gelingt, den Schleier zu heben und zu durchschauen, was der früheren Welt verschlossen war: solche Geheimnisse sind die verborgenen Kräfte der Natur. Aber jede Natureinsicht ist an sich mittheilbar, das Naturgeheimniß besteht nur darin, daß man die gewonnenen neuen Einsichten in die Beschaffenheit oder Behandlung der Naturkräfte nicht mittheilen will, daß man sie sorgfältig und gefliffentlich geheim hält: ein solches Geheimniß ist ein „Arcanum“. So sind auch die sogenannten geheimen Dinge in der politischen Welt an sich mittheilbar, nicht sie selbst, nur die Kenntniß davon ist verborgen, das Geheimniß besteht hier in der willkürlichen Geheimhaltung: solche politische Geheimnisse sind „Secreta“, Dinge, die nicht alle Welt wissen soll und die nicht veröffentlicht werden dürfen.

Das ewige Geheimniß ist weder ein Arcanum noch ein Secretum, es kann auch nicht in unserem moralischen Handeln gesucht werden, denn die Gesinnung ist zwar verborgen, aber mittheilbar. Ewig ge= heimnißvoll ist allein das göttliche Handeln: dieses Geheimniß ist ein „Mysterium". Wir glauben an das höchste Gut, d. h. an eine moralische Weltordnung, vermöge deren die vollendete Sittlichkeit die Ursache der vollendeten Glückseligkeit ausmacht; diese Weltordnung ist eine sittliche Weltregierung und besteht in einer göttlichen Wirksamkeit, an welche wir glauben, von der uns aber, wie sie geschieht, ewig ver= borgen bleibt: in diesem Punkte liegt das Mysterium, hier wird der Vernunftglaube zum „Vernunft geheimniß“.1

2. Das Mysterium der Weltregierung. Die Trinität.

Die Regierung eines Staates erscheint als gesetzgebende, ausführende, rechtsprechende Gewalt. Nach dieser Analogie muß die göttliche Weltregierung oder Gott in seinem moralischen Verhältnisse zur Welt in diesen drei Formen gedacht werden: als Gesetzgeber, Regent und Richter der Welt. Als Gesetzgeber ist er absolut heilig, sein Zweck ist die Herrschaft des sittlichen Gesetzes in den Herzen der Menschen, 1 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Drittes Stück. Allg. Anmig. (Bd. VI. S. 314-316.)

das Reich Gottes auf Erden; als Regent ist er absolut gütig, er läßt unsere mangelhafte That durch die gute Gesinnung ergänzt werden und um der lezteren willen als voll gelten; als Richter ist er absolut ge= recht, seine Gnade will durch die gute Gesinnung verdient sein. Die drei menschlichen Staatsgewalten können wir in einer gerechten Staatsverfassung nur getrennt, dagegen die drei göttlichen Gewalten in der Weltregierung nur vereinigt denken: als eine Persönlichkeit in drei verschiedenen Beziehungen, als „die dreifache moralische Qualität des Weltoberhauptes". Diese Vorstellungsweise bildet die Trinität des Vernunftglaubens, ihr Gegenstand ist die moralische Weltregierung, ge= dacht nach dem Postulate der Vernunft, nicht nach menschlichen Analogien, also gereinigt von allen anthropomorphischen Vorstellungen. In diesem Sinne darf die Trinität als „das Glaubenssymbol der ganzen reinen Religion" gelten. Auch die vorchristlichen Religionen enthalten in der Tiefe ihres Glaubens eine trinitarische Gottesvorstellung, die sich in verschiedenen Formen bei den alten Persern, Indern, Aegyptern, den späteren Juden u. s. f. wiederfindet. Praktisch genommen, ist die Trinität ein Vernunftglaube, d. h. ein durch die eigene Vernunft geoffenbartes Geheimniß; theoretisch genommen, ist sie ein vollständiges Mysterium, deffen Ausdruck, wie man ihn auch stellen mag, ein unverständliches Symbol bleibt.1

3. Das Mysterium der Berufung, Genugthuung und Erwählung.

Jede der göttlichen Eigenschaften enthält ein unauflösliches Geheimniß, einen Verein von Bedingungen, die der menschliche Verstand niemals vereinigen kann. Gott als der Gesetzgeber der Welt gründet ein Reich, dessen Bürger zu sein alle Menschen berufen sind: dieses Reich ist Gottes Schöpfung, diese Bürger sind seine Geschöpfe. Nun ist die erste Bedingung zur Verwirklichung moralischer Zwecke, also zum Bürgerrecht in dem moralischen Reiche die Freiheit, das unbedingte Vermögen der Selbstbestimmung. Wie können Geschöpfe frei sein? Wie läßt sich frei sein und geschaffen (berufen) fein vereinigen? In der Vorstellung Gottes als des moralischen Weltgesetzgebers liegt das unauflösliche Mysterium der Berufung.

Gott als Regent der Welt macht, daß sein Gesetz erfüllt und die Menschen erlöst werden; die Erlösung ist der Zweck der göttlichen 1 Heligion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Drittes Stück. Allg. Anmfg. (Bd. VI. S. 316-320.)

Weltregierung; aber böse, wie die Menschen in der Wurzel ihres Willens (von Natur) sind, können sie auch durch die Wiedergeburt dem Geseze nicht völlig gerecht werden. Die Genugthuung geschieht durch die göttliche Güte, die durch fremdes Verdienst die Menschen erlöst; also empfängt der Mensch ein Gut, welches nicht von ihm selbst herrührt. Wie läßt sich diese Erlösung, die in einem Erlöstwerden besteht, mit der Spontaneität des menschlichen Willens vereinigen? Diese Vereinigung ist das Mysterium der Genugthuung.

Gott als Richter der Welt entscheidet über Seligkeit und Verdammniß der Menschen. Vor dem gerechten Richter ist die Bedingung zur Seligkeit die gute Gesinnung. Nun ist der Mensch durch die ursprüngliche Beschaffenheit seines Willens nicht gut, er ist unfähig, von sich aus die gute Gesinnung in sich zu erwecken, es ist also Gott, der fie in ihm bewirkt. Verdient ist diese göttliche Wirkung durch nichts, denn was sie allein verdienen könnte, die gute Gesinnung des Menschen, ist erst die Folge jener göttlichen Wirkung. Also ist es Gott, der im Menschen die Bedingung zur Seligkeit schafft, ohne alles Verdienst, ohne allen Grund von seiten des Menschen, alsó vollkommen grundlos, aus reiner Willkür, nach seinem unbedingten Rathschluß. Die Seligkeit und Verdammniß der Menschen ist eigentlich kein Richterspruch, sondern eine Wahl Gottes, er richtet nicht, er hat schon gerichtet, d. h. er hat die Einen zur Seligkeit, die Anderen zur Verdammniß erwählt. Wie vereinigt sich diese grundlose Wahl mit der nach Verdienst austheilenden Gerechtigkeit? Wie vereinigt sich die göttliche Gnade mit der göttlichen Gerechtigkeit? Durch den menschlichen Verstand ist diese Vereinigung nicht zu begreifen: sie ist das Mysterium der Erwählung.

Alle diese Mysterien sind nur verschiedene Seiten eines und desselben großen Geheimnisses. Woher kommt in der Welt das Gute und Böse? Wie kann aus dem Bösen das Gute hervorgehen? Wie können solche, die böse sind, gut werden? Warum werden es die Einen und nicht auch die Anderen? Warum beharren die Einen im Bösen, während fich die Anderen zum Guten befehren? Alle diese Fragen treffen den verborgenen Grund der moralischen Welt, der sich nicht durch Begriffe erhellen läßt. Das intelligible Princip der Welt bleibt unerkennbar und läßt sich nicht ergründen, wie die in der Natur wirksamen Kräfte oder die geheimen Beweggründe in der politischen Welt. Das moralische Weltgeheimniß liegt in der Erlösung des Menschen vom Bösen. Als Postulat der religiösen Vernunft ist diese Erlösung vollkommen gewiß

und mittheilbar für alle Welt; als Object des Verstandes, d. h. als Weltbegebenheit, ist sie vollkommen unbegreiflich. Die Trinität ist nichts anderes als der Lehrbegriff dieses Glaubens, als der in ein Dogma verwandelte Erlösungsglaube, als der theologische Versuch, die Thatsache der Erlösung aus dem Wesen Gottes zu erklären. Soll der christliche Glaube von anderen Glaubensarten durch eine theoretische Form unterschieden werden, so ist eine solche Erklärung nothwendig, und in dieser Rücksicht bildet die Trinität die classische Formel des Kirchenglaubens. Für den praktischen oder religiösen Glauben ist das Symbol gleichgültig, er glaubt die Erlösung, aber fragt nicht: wie ist sie möglich? Und nur auf diese Frage giebt das Symbol die aus dem Wesen Gottes geschöpfte, geheimnißvolle und unbegreifliche Antwort.1

Sechstes Capitel.

Offenbarungs- und Vernunftglaube. Dienst und Afterdienst Gottes.

I. Geoffenbarte und natürliche Religion.

1. Naturalismus, Rationalismus, Supernaturalismus.

Die Aufgabe der kantischen Religionslehre ist durchgängig kritisch. Hatte es sich in der Metaphysik um die reine Vernunft in Ansehung der Erkenntniß, in der Sittenlehre um den reinen Willen gehandelt, so handelt es sich hier um den reinen Glauben. Die drei Hauptpunkte der bisherigen Untersuchung waren das radicale Böse, die Wiedergeburt und Erlösung, die Kirche als das moralische Gottesreich auf Erden. Es bleibt noch ein Punkt übrig, welcher mit der Lehre von der Kirche und dem Volke Gottes genau zusammenhängt: der Begriff des Gottesdienstes oder des Cultus. Wie die kritische Lehre überall das Echte vom Unechten sondert, wie sie eben noch zwischen unsichtbarer und sichtbarer, wahrer und falscher Kirche unterschieden hatte, so gilt es jegt, den Unterschied zwischen „Dienst und Afterdienst unter der Herr= schaft des guten Princips" darzuthun.2

1 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Drittes Stück. Allg. Anmkg. (Bd. VI. S. 320–325.) — 2 Ebendas. Viertes Stück. Vom Dienst und Afterdienst unter der Herrschaft des guten Princips oder von Religion und Pfaffenthum. (Bd. VI. S. 329-332.)

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