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Dasein nicht nur durch Gott begriffen werden müßte. Aus der Betrachtung der Vollkommenheit Gottes geht hervor, daß wir das Wesen des Körpers bestimmen können als erkennbar durch die Gesetze der Geometrie und der Bewegungslehre. Also: spatium extensio = substantia corporea12. Die eine Bestimmung der Außenwelt ist demnach für uns ausreichend: nämlich, daß sie gedacht werden muß als ein zusammenhängendes System absolut fester Körper und mechanischer Bewegungen. Es kann daher keinen leeren Raum geben, und wenn Druck und Stoß die einfachsten und allgemeinsten Zusammenhänge des Geschehens ausdrücken, so würde sich die wahre Wirklichkeit der Körperwelt in einer Physik von Wirbelbewegungen ungleich feiner Materien ausdrücken lassen. Bei der Lehre von einem Berührungszusammenhange durch Druck und Stoß kann es nicht sein Bewenden haben. Der wahre Zusammenhang in der Körperwelt wird eigentlich erst durch die lückenlose Aufeinanderfolge unserer Erkenntnis vom Entstehen der Formen und Gestalten sowohl der Massen als auch ihrer Bewegungen hergestellt, und somit schließt der Begriff vom Wesen der Körper mit der eingeborenen Idee der Ausdehnung den des physikalischen Geschehens in sich. Mit anderen Worten: es müssen sich die Metaphysik und die Physik ergänzen. Unsere nächste Aufgabe besteht also darin, die Kartesianische Physik als untrennbar von der Erkenntnislehre und der Metaphysik darzustellen.

SI.

II. KAPITEL: PHYSIK

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Die Lehre von der Mechanik Die Lehre von der Mechanik ist noch nicht das erste und einfachste Problem, das gewissermaßen das der Gesetze des Naturerkennens schon unmittelbar in sich schlösse; nicht einmal die Mathematik kann als ein unmittelbarer Ausdruck der allgemeinsten Formen des Naturerkennens behandelt werden. Die logischen Voraussetzungen unseres Geistes erheben sich sogar über Strecken- und Lageverhältnisse, wie über Bewegungen. Sie enthalten die ganz allgemeine Gesetzlichkeit eines geordneten Zusammenhanges. Arithmetik und Geometrie sind nur Beispiele der universalen Wissenschaft, die das Universalinstrument unseres Geistes aus sich hervorgehen läßt. In der Mathematik bewährt sich die Anwendung der Methode auf räumliche Gebilde. Werden die

räumlichen Gebilde als Massen begriffen, so befinden wir uns auf dem Gebiete der Physik.

Wir wissen jetzt, daß die Körper nicht eigentlich durch die Sinne oder durch die Fähigkeit der Einbildung, sondern einzig und allein durch den Verstand erfaßt werden. Es kommt nicht in Frage, ob wir die Körper sehen oder betasten; soweit wir sie erkennen, erkennen wir sie nur dadurch, daß wir sie denken. Es ist demnach in dieser rationalistischen Begriffsbestimmung ausdrücklich nicht nur die Reihe der sogenannten sekundären, sondern auch die der primären Qualitäten ausgeschaltet worden. Es gibt in der Tat eine Anweisung, die Härte von dem Begriff der Empfindung des Harten zu unterscheiden. Man hat dies sinnbildlich durch ein Fliehen einer überaus feinen Materie vor den Greifversuchen unserer Finger äußerlich lehrhaft zu machen versucht. Die Ordnung und das Maß, denen wir die Massen unterwerfen, sind also unmittelbar aus unserer Vernunft abzuleiten. Die Anwendung der analytischen Geometrie ist bloß das Mittel, mit Hilfe dessen wir die Gestalten und Bewegungen durch Ordnung und Maß bemeistern. Das Prinzip der Konstruktion oder der Ableitung ist dabei dasselbe, gleichviel, ob wir dabei an bestimmte Lageverhältnisse oder an Bewegungsformen denken. Ganz im allgemeinen ließe sich dies durch folgende Worte Descartes' selbst verdeutlichen: „Einzig und allein dadurch, daß man das Verhältnis (rapport) kennt, in dem alle Punkte einer Kurve zu all denen einer Geraden stehen, kann man mit Leichtigkeit auch das Verhältnis finden, in dem sie zu allen anderen gegebenen Punkten und Linien stehen. Ebenso kann man dann die Durchmesser, die Peripherien, die Mittelpunkte und die anderen Punkte und Linien erkennen, zu denen jede Kurve in einem besonderen oder einfacheren Verhältnis steht als zu den übrigen, und sich so eine Reihe von Methoden ausdenken, um sie zu beschreiben, und die einfachsten auswählen; ja man kann selbst, einzig und allein dadurch, sozusagen alles finden, was über die Größe des von ihnen befaßten Raumes ausgemacht werden kann, ohne daß ich darüber irgendeine weitere Eröffnung zu machen brauche43. ̧** Dies müssen wir voraussetzen, wenn wir uns auch nur einen Begriff von einer geradlinigen Bewegung eines beliebigen Punktes bilden wollen. Alle Bewegung muß auf etwas bezogen werden, was im Vergleich mit dem Bewegten

als ruhend gedacht wird. Stelle ich mir diese Bewegung als gerade Linie vor, die auf das Koordinatensystem X und Y bezogen wird, so kann ich die durchmessenen Strecken durch sehr einfache Gleichungen ausdrücken. Dieser Gedanke muß uns eigentlich schon vorschweben, wenn wir auch nur an einen Fall des Beharrungsgesetzes anknüpfen wollen. Die Voraussetzung des Beharrungsgesetzes ist freilich im Kartesianischen System metaphysischer Natur; denn Schaffen und Erhalten sollen identisch sein. Da nun also Gott die Welt erhält, so gilt folgendes Gesetz:,,Alles, was ist oder existiert, verbleibt stets in dem Zustande, worin es sich befindet, wenn es nicht durch eine äußere Ursache eine Veränderung erleidet.“ Wir können das Gesagte auf zwei Schlagworte zurückführen: aus reiner Vernunft werden das Gesetz der Relativität der Bewegung und das Gesetz der Beharrlichkeit erkannt.

Ohne diese beiden Gesetze wäre es nicht möglich, Stoßregeln aufzustellen; erst diese bieten die Grundlage für alle Dynamik, und durch sie sucht Descartes alle qualitativen Begriffe auszumerzen; auch die Erscheinungen der Schwere sind nur Wirkungen, deren Ursachen im Druck und Stoß gewisser feiner Materien auf die sichtbaren Körper bestehen. Überblickt man das Gesamtgebiet der Kartesianischen Mechanik, so wird man erkennen, daß alle möglichen und alle wirklichen Bewegungen irgendwie auf Stoßvorgänge innerhalb der verschiedenen Materien zurückgeführt werden müssen. Bei dem Aufbau des mechanischen Systems ist natürlich von den Aufgaben der Statik als den einfachsten Untersuchungen über genaue Größenbeziehungen möglicher Bewegungsvorgänge auszugehen.

Durch das Prinzip der virtuellen Geschwindigkeiten suchte der Philosoph eine gemeinsame, beherrschende Grundidee für die verschiedenen Aufgaben, die die sogenannten einfachen Maschinen bewältigen (Hebel, schiefe Ebene, Flaschenzug), zu finden. Dieses Prinzip der virtuellen Geschwindigkeit selbst ließ sich aus dem Begriff der Kraft gewinnen. Dem Sinne nach, wenn auch nicht der Umschrift in der analytischen Formel nach, ist hier dasselbe gemeint, was wir heute unter dem Begriff der Arbeit verstehen. Dies drückt Descartes folgendermaßen aus:,,Die Erfindung sämtlicher Maschinen beruht auf dem einzigen Prinzip, daß dieselbe Kraft, die ein Gewicht von hundert Pfund auf

eine Höhe von zwei Fuß zu erheben vermag, imstande ist, ein Gewicht von zweihundert Pfund auf die Höhe von einem Fuß zu erheben. Dieser Grundsatz aber muß zugestanden werden, wenn man nur erwägt, daß zwischen einem Vermögen und der Leistung, die es zu vollziehen vermag, notwendig ein festes und eindeutig bestimmtes Größenverhältnis besteht, und daß es dieselbe Leistung ist, zunächst hundert Pfund einen Fuß hoch zu heben, und dies alsdann zu wiederholen, wie mit einem Male zweihundert Pfund um einen Fuß oder hundert um zwei Fuß zu erheben44."

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Von hier aus gelangen wir mit Descartes zum virtuellen Prinzip durch die Idee, daß die statischen Kräfte durch den gedachten Anfang möglicher Bewegungen verglichen werden können. Descartes hat dies vornehmlich an der einfachsten Gestalt des Flaschenzuges erklärt. Es ist nicht schwer, hier Leistung und Bewegung der Gewichte durch die Größe der Seilausdehnungen, an denen die bewegliche Rolle und das am freien Ende des Zugseils aufgehängte Gewicht bestimmt sind, zu vergleichen. Ziehe ich an dem freihängenden Gewicht P1 eines Flaschenzuges allereinfachster Form, so erhebt sich die schwebende Rolle P2 um die Hälfte des Weges, den das Gewicht P1 nach unten gezogen worden ist. Diese Beziehung vermag man natürlich auch bei der Idee möglicher Verschiebungen festzuhalten. Die in Frage kommenden Größen sind also: Gewicht und Höhe, wobei sich denken ließe, daß wir eine gewisse Einheit der Höhe für eine bestimmte Zeit als Maß der Geschwindigkeit ansetzten. Aus diesen Bestimmungen ist jedoch das Kartesianische Kraftmaß nicht gewonnen worden. Um zu diesem zu gelangen, müssen wir den Philosophen erst noch ein anderes Naturgesetz formulieren sehen. Wenn ein sich bewegender Körper von einem anderen abprallt, der nicht zurückweicht, so verliert er nichts von seiner Bewegung, und wenn er einen schwächeren trifft, den er zu bewegen vermag, so verliert er so viel von seiner Bewegung, als er auf ihn überträgt. Nun erst wird man das als einfacher und allgemeiner gedachte und demgemäß in der Ordnung vorangestellte Prinzip der Erhaltung der Bewegung im Universum begreifen. Es erhält sich nämlich immer die gleiche Menge der Bewegung. Die Summe aller Bewegungen der Körper in der Welt ist demnach in jedem Augenblick die gleiche15, und im einzelnen drücken

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wir die quantitas motus durch das Produkt der Masse (die jedoch begrifflich unserer Formel m nicht gleichzusetzen ist) in die Geschwindigkeit aus. Auf die Beurteilung dieser Ansicht werden wir später bei der Darstellung der Huygensschen Formulierung der Stoßgesetze zurückzukommen haben. Die Bestimmung der Kraftverhältnisse beim Stoß wurde bei Huygens erst möglich durch die Annahme, daß die Kraft zweier einander im zentralen Stoß treffender Kugeln durch den freien Fall erworben worden sei. Hier wurden also die Begriffe der Kraft auf Gewicht und Fallgeschwindigkeiten zurückgeführt, mithin auf Vorstellungen, die mit dem Kartesianischen Gedankengang ungezwungen nicht hätten vereinigt werden können, zumal Descartes seine eigene ganz richtige Ermittlung des Grundgedankens der Bewegung der Körper infolge der Schwere einfach verleugnet hat. Läßt er sich doch in seiner Beurteilung Galileis zu der Bemerkung hinreißen: „Galilei setzt voraus, daß sich die Geschwindigkeit fallender Gewichte immer gleichmäßig vermehre, was ich einstmals ebenso wie er angenommen habe; aber jetzt glaube ich, ein begründetes Wissen zu besitzen, daß das nicht wahr sei46."

Wenn man mit Recht behaupten kann, daß die ursprünglich ganz richtig erfaßte Idee von der Beschleunigung der Fallbewegung der Körper kontinuierlich aus der geometrischen Darstellung der Geschwindigkeiten, die in jedem Moment hinzugewonnen werden, hervorgehe, so greift nun in die Kontinuität der logischen Entwicklung der Begriff der sich kontinuierlich verschiebenden Arten der Materie ein und verändert das ganze Bild. Man muß hinzufügen, daß die Probleme der Mechanik, wo sie sich prinzipiell dem ganzen System einzuordnen haben, überhaupt stets unter dem Gesichtspunkt der Wirbelbewegungen der Massen betrachtet werden müssen. Diese Wirbelbewegungen schweben offenbar dem Geiste des Denkers schon vor, so wie andererseits die Konstruktion der Wirbelbewegungen nicht ohne Erwägung rein mechanischer Ableitungen hätte ermöglicht werden können. Man kann daher sehr wohl behaupten, daß das eine dem anderen durchaus nicht vorhergehe. Man kann auch nicht sagen, daß die eine Betrachtung schlechthin leichter oder einfacher sei als die andere. Wir gehen daher nicht zu etwas schlechtweg Neuem über,

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